Hier kommt eine meiner Versionen wie man den Anfang hätte gestalten können. So, dass wir nicht erst noch Monate hätten warten müssen. Oder zumindest nicht ohne schon ein bisschen gesehen zu haben.
Für gewöhnlich machte ich mir nichts aus dem Gerede anderer Leute. Aber seit ich auf Schloss Königsbrunn angefangen hatte zu arbeiten- als Schlossverwalterin- war ich diesem ständig ausgesetzt. Wo um Diskretion in der Öffentlichkeit geboten wird, wird intern viel geredet. Dass der Graf, oder besser gesagt, einer der Grafen ein nicht sehr freundlicher Mensch war, hatte ich schon selbst rausgefunden. Dass sein blonder Bruder das komplette Gegenteil war, überraschte mich nicht. Das ist schließlich in den meisten Familien der Fall. Ein Sohn ist der Liebeling der Eltern, der Gute. Und der andere steht im Schatten und versucht dort mit allen Mitteln raus zu kommen. Nur über die Gräfin habe ich mir noch kein eigenes Bild machen können. Sie war noch vor meinem Arbeitsbeginn nach London abgereist. Schade eigentlich. Sie soll sehr hübsch sein. Klug, gebildet, anmutig, nett und eigentlich nur positiv. So kam es mir zu Ohren. Und offensichtlich sind alle froh, wenn sie wieder da ist. Der Graf spielt sich in letzter Zeit immer mehr wie der big Boss auf. Auch bei mir. Dabei kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass ich mir nichts zu Schulen kommen lassen habe. Auch jetzt nicht, wo ich die Köchin vertrete. Zu irgendwas musste die Lehre zur Köchin schließlich gut gewesen sein.
"Könnten Sie mir bitte einen Tee machen?"
"Ach Mist, verdammt!", entfuhr es mir.
"Wie bitte?"
"Nichts, schon gut." Ich drehte mich um. Vor mir stand die wohl atemberaubendste Frau Deutschlands. Ach was red' ich da; der ganzen Welt! Blonde Locken umspielten ihr einzigartiges Gesicht, vielen ihr leicht in die Stirn, ließen aber den Blick auf ihre perfekten blauen Augen frei. Als würde ich auf den Ozean hinaus schauen verlor ich mich in diesen Augen, in einem Meer von Gedanken.
"Lassen Sie mal sehen." Das wunderschöne Wesen bewegte sich auf mich zu. Ihren Blick ließ sie nicht von mir abweichen. Als wollte sie in meinen Augen oder in meinem Gesicht irgendetwas erkennen, starrte sie mich an. Kein unangenehmes Starren, sondern von einer Sanftheit und zugleich Neugierde erfüllt, die ich kaum zu beschreiben weiß. "Das ist halb so wild. Das haben wir gleich", sagte sie mit ihrer schönen weichen Stimme. Hätte ich mir nicht in den Finger geschnitten, würde ich der Überzeugung sein, das hier sei nur ein Traum. Ein Tagtraum, wie ich ihn als Teenager oft hatte, wenn die eleganten Frauen im Restaurant meiner Eltern sich vom Tisch erhoben um sich die Nase zu pudern. Sie war so unglaublich schön. "So, das wars schon. Oder, meinen Sie, Sie müssen ins Krankenhaus", scherzte sie. Völlig geistesabwesend sah ich auf meine Hand und schüttelte den Kopf.
"Also, krieg ich dann meinen Tee?"
"Klar", wirbelte ich herum.
"Ich wusste gar nicht, dass wir eine neue Köchin haben."
Oh nein, bitte lass das nicht die Gräfin sein. "Eine neue…was? Ich? Oh nein, nein. Ich bin nicht die neue Köchin. Ich meine, es gibt keine neue Köchin."
"Und was machen Sie dann in meiner Küche?"
"Sie sind…"
"Carla von Lahnstein."
"Na toll. Und ich hab mich erst mal zum Deppen gemacht. Es tut mir leid, Sie bekommen Ihren Tee auf der Stelle."
"Der kocht auch alleine, Ihr Name wäre mir hilfreicher. Und wenn Sie nicht die neue Köchin sind, was ist dann mit Alten passiert und wer sind Sie?"
"Verzeihung. Wie dumm von mir. Stella Mann, die neue Schlossverwalterin." Ihr die Hand zu reichen, schien mir nicht vornehm genug, ein Knicks wäre vermutlich zu förmlich, aber wie um alles in der Welt stellt man sich einem engelsgleichen Wesen wie sie es war vor?
"Und um Geld zu sparen arbeitet die Köchin nur noch halbtags?"
"Wieso?"
"Ich kann sie nirgends sehen. Immerhin sind Sie und ich alleine hier."
"Ach so. Ich bin nur die Vertretung."
"Und wem haben Sie diesen Auftrag zu verdanken?"
"Dem Grafen." Kaum ausgesprochen wollte ich es rückgängig machen. Mir schien es nicht richtig den Grafen anzuschwärzen.
"Ich nehme an, Sie sprechen von meinem Bruder Ansgar. Das sieht im ähnlich. Nun, Morgen kümmern Sie sich bitte um eine richtige Vertretung. Schließlich sollen Sie ihre volle Aufmerksamkeit dem Schloss widmen."
Wie gern ich meine Aufmerksamkeit nur ihr allein widmen würde, behielt ich für mich. Zum Glück! "Verstanden."
"Wollen Sie jetzt auch noch salutieren? Ich bin nicht mein Bruder."
"Natürlich nicht."
"Gut, das wars dann auch. Kann ich bitte meinen Tee haben?"
"Selbstverständlich."
"Danke. Dann noch einen schönen Abend. Und: willkommen auf Königsbrunn."
Wow! Dieses Lächeln. Kindlich und fraulich zu gleich. Umwerfend. Herzrasen verursachend. Wusste diese Frau welche Wirkung sie auf andere Menschen hatte? Ich musste mich erst einmal setzen.
"Geht es Ihnen nicht gut?"
Erschrocken sprang ich auf. Bitte nicht schon wieder die Gräfin. "Ach, Annika, Sie sinds nur. Danke. Es ist alles in Ordnung. Mir war nur grad etwas schwindelig."
"Sie sollten mehr trinken." Und schon war sie wieder weg.
Wie konnte die Gräfin mich so aus meiner Fassung gebracht haben. So, und zwar genau so, war mir das bisher nur bei einer passiert. Und wenn es auch nur ansatzweise so ablaufen würde wie damals, könnte ich gleich meine Kündigung einreichen.
"Guten Morgen Gräfin von Lahnstein."
"Oh, guten Morgen Frau Mann."
"Ich wollte mich für gestern Abend entschuldigen und mit Ihnen die Umgestaltung der Beete besprechen. Immerhin haben wir bald Frühling."
"Können Sie damit um zwölf in mein Büro kommen? Ich habe noch einen wichtigen Termin zu dem ich jetzt schon fast zu spät komme."
Ich muss mich davon abhalten sie nicht gleich hier umzuwerfen, auf den Boden zu schmeißen und ihr den gerade übergezogenen Mantel wieder vom Körper zu reißen. Ich merke wie sich mein Blick verklärt und ich zu träumen beginne. Immer mehr abschweifend in meine Gedanken die schon fast an Sehnsucht angrenzen überhöre ich die Gräfin.
"Frau Mann. Hallo? Frau Mann? Geht es Ihnen gut?"
"Wie bitte?"
"Zwölf Uhr, in meinem Büro?"
"Ja, klar." Ich mache auf dem Absatz kehrt bevor noch ein Unglück geschieht, bitte den Grafen- den netteren- mich für eine Stunde zu entschuldigen und fahre nach Hause. Ich brauche eine Dusche. Eine eiskalte am besten. Und am allerbesten jetzt sofort. Also steige ich in mein Auto und fahre schnurstracks zu mir nach Hause. Zittrig drehe ich den Schlüssel zu meiner Wohnung und bin froh endlich allein zu sein. Diese Frau macht mich verrückt. Wie kann ich meine Arbeit gut verrichten, wenn ich ständig damit rechnen muss ihr zu begegnen? Mich hats voll erwischt, wie mein kleiner Cousin jetzt sagen würde. Schön. Warum trifft es immer mich? Und warum immer in Heten? Duschen, jetzt!
"Ah Frau Mann, da sind Sie ja. Gut. Haben Sie sich schon Gedanken zu den Beeten gemacht?"
"Klar! Ich meine, selbstverständlich."
"Na dann lassen Sie mal sehen." Fast fühlt es sich so an, als würde mein Clipchart beben und meine Hand zum Zittern bringen. Die Gräfin scheint davon zum Glück nichts zu merken. Sie sieht sich die Entwürfe an und sitzt, schön wie eine Göttin, hinter dem majestätischen Schreibtisch. "Setzen Sie sich doch", lässt sie zwischendurch verlauten ohne den Kopf auch nur ein winziges bisschen zu heben.
"Danke sehr."
"Nun, Frau Mann. Das sieht doch alles schon recht ordentlich aus. Haben Sie schon mit unserem Gärtner gesprochen?"
"Ja. Er ist der Meinung, dass wir dieses Jahr statt Narzissen Adonisröschen zu den Christrosen pflanzen sollten. Um nicht den Massen zu folgen, hat er gesagt. Er wirkt, als sei er gerade in einer leichten Krise."
"Tut er das."
"Oh Verzeihung. Ich wollte ihn nicht bloßstellen."
"Das haben Sie nicht. Das hat er jeden Frühling", lacht die Gräfin.
Ich muss hier raus. Ich ertrage das nicht. "Also sind Sie einverstanden mit der Anordnung?"
"Es sieht ganz so als, als wüssten Sie was sie tun."
"Gut. Kann ich dann gehen? Ich meine, ich habe noch Arbeit. Es ist noch so viel zu tun. Wegen der Prinzessin. Und die Küchenvertretung ist noch nicht gesucht und…" Ich erhebe mich. Schnell, aber doch nicht zu abrupt.
"Bleiben Sie doch noch einen Moment", lächelt sie mich an. "Erzählen Sie mir ein bisschen. Was haben Sie vorher gemacht?"
"Vorher? Mit dem Gärtner gesprochen."
"Ich meinte bevor Sie nach Königsbrunn kamen."
"Dies und das."
"Ah, verstehe. Das sind natürlich die perfekten Voraussetzungen für den Job als Schlossverwalterin."
"Hören Sie, Ihr Bruder hat meine Zeugnisse und Referenzen schon sehr genau unter die Lupe genommen. Ich glaube nicht, dass es irgendwelche Zweifel an meinen Qualitäten gibt!" Wow, das war erstaunlicher Weise sehr leicht. Hätte ich nicht gedacht. Vielleicht muss ich doch nicht kündigen.
"Wenn Sie bei dem Gespräch mit meinem Bruder genauso aussahen, bin ich mir sicher, dass er sich der Echtheit Ihrer Qualitäten vergewissert hat."
"Wie meinen?"
"Ihr Knopf."
"Mein…Knopf?"
Plötzlich erhebt sich die Gräfin und kommt auf mich zu. Wie am ersten Abend. Ihr Blick weicht nicht von mir. Wieder steht sie- zum Anbeißen nah- vor mir und ich kann mich nicht wehren. Ich bin wie gefesselt. "Der hier!" Die Finger der Gräfin gleiten über den Rand meiner Bluse und suchen sich ihren Weg zu einem Knopf den ich in der Eile nach meiner kalten Duschen wohl vergessen haben muss. "Oder laufen Sie immer so rum?"
Ich merke wie ich den Kopf schüttel, auch wie an dem Abend in der Küche. Alles ist so identisch. Wie ein Déjà vu.
"Nun, dann wollen wir doch mal für Ordnung sorgen." Just in dem Moment klopft es an der Tür. "Jetzt nicht!" ruft sie. So einfach geht das, wenn man Carla von Lahnstein heißt. "Wo waren wir? Ach ja, die Ordnung." Mit ihren wunderschönen zarten Händen verweilt sie einen kurzen Augenblick an dem Knopf der mich erst in diese Situation gebracht hat. Noch bin ich der festen Überzeugung dass sie ihn zuknöpft, bis ich registriere, dass ich immer weniger Stoff auf meiner Haut spüre. Ich höre mich tief einatmen. Ich merke meine zitternden Finger, spüre mein klopfendes Herz in meiner Brust. Ziehe sogar in Erwägung mich fallen zu lassen, bis es wieder klopft. "Jetzt nicht!", ruft sie wieder.
"Gräfin Lahnstein, es ist wichtig", höre ich durch die Massive Tür.
Schließlich lässt sie von mir ab, in der Gewissheit, dass keiner erkennen kann, dass ich mit halbgeöffneter Bluse in ihrem Büro stehe, öffnet sie Annika. "Was ist denn?" Es geht um Sophia. Die Kinderfrau kriegt sie nicht beruhigt."
"Das kann doch nicht so schwer sein", entfährt es ihr erst. Doch schließlich hat sie ein Nachsehen mit Annika, die nun wirklich nichts dafür kann. "Na gut, ich komme." Sie dreht sich zu mir um. "Wir reden später weiter. Kommen Sie doch bitte, wenn Sie sich ein wenig Zeit frei machen können. Ich bin den ganzen Tag in meinem Büro." Sie zieht die Eichentür hinter sich zu. Völlig kraftlos sinke ich in den Stuhl zurück. Was um alles in der Welt ist da gerade passiert?
to be continued
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